Über unsere Köpfe

Eine Groteske
 
(Ausschnitt)
 
Doch dann kam 9/11 und das Kopftuch war wieder da. Musliminnen mussten Partei ergreifen. Bist du nicht für uns, bist du gegen uns. Beunruhigend viele entschieden sich gegen uns. Die Religion rückte wieder in den Mittelpunkt ihres Lebens.
Wir sind Agnostikerinnen, Atheistinnen, Esoterikerinnen, allenfalls Buddhistinnen. Religionen sind eine Erfindung von Männern, auch hier stehen Frauen an zweiter Stelle. Und Religionen produzieren ein anhaltend schlechtes Gewissen. Niemand kann alle religiösen Gebote einhalten. Wir Menschen sind emotional, wir suchen Glück, Wohlbefinden und Genuss. Wir wollen essen, was wir nicht sollen, wir wollen lieben, wo wir nicht dürfen, wir wollen uns Zeit nehmen, die uns nicht gehört, sondern unseren Familien, unserer Arbeit, unseren Göttern. Religionen sorgen dafür, dass wir begehren, was wir nicht dürfen und nicht wollen, was wir sollen. 
 
Der Arabische Frühling ließ uns hoffen. Er mündete in Bürgerkrieg und Fanatismus. Als die großen Migrationsbewegungen Mitteleuropa erreichten, packte uns die Angst und das Kopftuch wurde zum roten Tuch.
Männer beginnen Kriege, Frauen halten ihre Köpfe hin. Auch im Schulwegcafé. Wir tragen es unseren Freundinnen nach, dass sie sich nicht auflehnen. Sie sagen, wir hätten ihre Art zu leben und zu denken nie ernst genommen. Sie bezeichnen das Kopftuch als ihren Schutz, wir sagen Unterdrückung. Sie sagen, sie tragen es freiwillig, wir nennen das eine Illusion. Von uns fordern sie Toleranz, doch sie selbst bleiben stur.
„Was sagt das über eure Männer“, fragen wir, „wenn ihr euch verschleiern müsst, damit sie nicht wie Tiere über euch herfallen?“
Sie verlassen das Schulwegcafé im Zorn. 
 
Eine Woche hören wir nichts von ihnen. Wir rufen sie nicht an. Wer nachgibt, hat verloren. Sie sind klüger und kommen wieder.